Richard Artschwager

VERNISSAGE

Mittwoch 20. Februar 2019

AUSSTELLUNG
20. Februar - 29. Mai 2019
Mittwochs 16:30 – 18:30 Uhr

Richard Artschwager - der Maler und Zeichner

Das einzigartige Wesen des Werks von Richard Artschwager (1923 – 2013) wurde geformt durch den Zweifel gegenüber der Wahrnehmung unserer Umgebung und ihrer Objekte. Indem sie das Gewohnte ungewöhnlich und das Ungewöhnliche gewohnt erscheinen lassen, verunsichern sie die alltäglichen Anschauungen über die funktionale Ausrichtung der Lebenswelt. Der Künstler erklärte es vielmehr zu seiner Absicht, Kunstwerke herstellen zu wollen, die diese Gedankenlosigkeit unseres Verhältnisses zur sichtbaren Welt verdeutlichen und die Herstellung einer wirklichen Beziehung zu ihr provozieren wollen. Sein beharrlich vertretenes künstlerisches Selbstverständnis, ein Hersteller „nutzloser Objekte“ zu sein, machte ihn zu einem der konzeptionell und formal im wörtlichen Sinne eigenartigsten Künstler des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts. 

Richard Artschwager wurde als Sohn europäischer Einwanderer in Washington D.C. geboren. Sein Vater stammte aus Ostpreussen, er war Botaniker, der an der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York studiert hatte.  Seine Mutter war aus der Ukraine immigriert und  hatte an der Corcoran School of Art in Washington und der National Academy of Design in New York Kunst studiert. Im Alter von acht Jahren verbrachten Artschwager und seine Schwester fast ein Jahr mit der Mutter in München. Sie war dorthin gegangen, um die Kunstakademie zu besuchen, währenddessen die Geschwister zur Schule gingen und Deutsch lernten. Nach der Rückkehr zog die Familie 1935 von Washington, D.C. nach Las Cruces in New Mexico, dessen weiten bizarren Wüstenlandschaften einen ersten nachhaltigen Eindruck für seine Einbildungskraft darstellten. Dennoch verlief Artschwagers künstlerische Berufung keineswegs geradlinig. Die Biografien seiner Eltern zeigten ihm gegensätzliche Perspektiven auf; der wissenschaftliche seines Vaters stand die künstlerische seiner Mutter entgegen. “My most important quality or property is curiosity,” he says. “And that had its beginning in what I was going to do with my life. To paraphrase my father, ‘Are you going to be an artist or are you going to be a scientist?’ ” Die Entscheidung nötigten dem Sohn einen gewissen Zwiespalt auf, den er mit einer für ich typischen analytischen Herangehensweise zu lösen suchte: “All the good stuff had been done. Einstein, he’d gotten it all! He didn’t leave us anything! But I saw some gaps in art. That’s where things were left undone, in a mess. The people doing it seemed to be trying to use their souls.”

Gleichwohl begann Artschwager ein Studium der Biologie, Chemie und Mathematik, wie sein Vater an der Cornell University. Die Einberufung  1944 zum Armeedienst zwang ihn zur Unterbrechung seiner akademischen Ausbildung. Nach Kriegsende und dem Abschluss seines Studiums, widmete er sich seinen künstlerischen Interesse, zunächst bei dem französischen puristischen Maler Amédée Ozenfant. Im Anschluss gründete er jedoch mit seinem Bruder eine Werkstatt für handgearbeitete Möbel, die bis Ende der 1950er Jahre ihm und seiner Familie den Lebensunterhalt sicherte. Seiner künstlerischen Berufung folgte Artschwager endgültig zu Beginn 1960er-Jahre.  Unter dem Eindruck von Pop, Minimal und Concept Art, entwickelt er rasch eine eigenständige Formenssprache, die formale Aspekte aller drei sich zeitparallel entwickelnde Strömungen zusammenführte, sich aber letztlich keiner dieser Kategorisierungen unterordnen lässt. Für Artschwagers Skulpturen wie auch seine Gemälde und Zeichnungen wurden die spezifischen materiellen Texturen von Oberflächen ein entscheidender Ansatzpunkt. Seine Werke zielten auf eine Umkehrung der überkommenen Wahrnehmung von Bildern und Objekten. Sie vollziehen eine Synthese der visuellen Merkmale/Eigenschaften der alltäglichen Bildwelten mit den haptischen Mekmalen/Eigenschaften von Gebrauchsgegenständen, versetzt mit Anreicherungen aus verschiedenen intellektuellen Feldern, quasi als Umsetzung eines Gegenentwurfs zur rigorosen Unterscheidung von Wissenschaft und Kunst seines Vaters. 

Dabei spielte die Aneignung von synthetischen Materialien, die Artschwager als Tischler kennen gelernt hatte, eine wesentliche Rolle. Es waren Werkstofffe, die für alltägliche Produkte Verwendung fanden: Resopal, mit dem vor allem preiwert hergestellte und vertriebene Möbel beschichtet werden, und Celotex, Hartfaserplatten die zur Dämmung von Gebäuden und Dächern dienten, wurden Artschwagers bevorzugten Materialien zur Gestaltung der Oberflächen seiner Skulpturen und Gemälde. Resopal ermöglichte ihm eine Beschichtung seiner Skulpturen in allen denkbaren Farben und Mustern, die jegliche Bildmotive wie die Strukturen natürliche Werkstoffe imitieren können. Celotex hingegen besitzt eine einseitige grobe Struktur, die der Bildfläche eine Art Rasterung verleiht und dem Malfluss Widerstand leistet. Diese Flächenstruktur des Bildträgers entsprach den gering aufgelösten Zeitungsfotos, die Artschwager als Vorlagen für seine schwarz-weißen Bilder bevorzugte. Diese strukturellen Charakteristiken von Resopal und Celotex als alltägliche Werkstoffe wurden zu signifikanten Merkmalen von Artschwagers Werken, die die Ausrichtung an den Gegenständen und Szenarien des alltäglichen Lebens maßgebend mittrugen. Eine Notiz in einem Skizzenbuch aus dieser Zeit seine bildnerische Vorstellung programmatisch zusammen: “Sculpture is for the touch, painting is for the eye. I wanted to make a sculpture for the eye and a painting for the touch.”

Als frühes Bespiel für die Grenzverschiebung in der gewohnten Wahrnehmung des Bildhaften und Skulpturalen kann hier Portrait Zero (1961) aufgerufen werden, in dem Artschager seine Vorstellung von der Malerei als einem skulpturalen Bild erstmals umsetzte. Dies geschieht, indem die Bildebene in den Raum ‚gehängt’ wird. Inspiration war laut Artschwager eine Fernsehsendung für Kinder. Der Moderator „erzählte von seinem Sohn, der seine Zeit im Garten verbrachte und dort Bretter zusammennagelte. Irgendwelche Bretter, die er einfach zusammennagelte. Wegen dieses unerklärlichen antisozialen Verhaltens beschloss der Vater voller Zorn und Kummer, seinen Sohn nicht ins Sommerferienlager fahren zu lassen. Ich hatte zufällig einen Haufen 6 mm dickes Sperrholz herumliegen. Ich nagelte einen Sperrholzstapel zusammen, ungefähr mannshoch, der rund 180 kg wog und an einer Kette von der Decke hing.“

Dieses Interesse an destruktiven Prozessen als Basis konstruktiver Neugestaltung, dem man in Artschwagers Werkentwicklung immer wieder begegnet, und die Methode, funktionale Zusammenhänge aufzuheben, führte Artschwager auch zu seinen Splatter-Arbeiten, bei denen er die buchstäbliche Zertrümmerung von Objekten in Reliefs darstellt. Splatter-Arbeiten sind oft für die Ecke eines Raum konzipiert. Ihre häufig weit ausgreifenden „Splitter“setzten sich aus Elementen zusammen, die teils bemalt und teils mit Resopal beschichtet sind. 

Demgegenüber unterstreicht Description of Table (1964) Artschwagers synthetische Denkungsart und handwerkliche Praxis. Die Skulptur entwirft das plastische Bild eines Tisches, das auf die anschaulichen Merkmale reduziert erschient. ‚Tischbeine’ und ‚Tischplatte’, auf dem ein weißes ‚Tischtuch’ liegt. Tatsächlich handelt es sich um einen rechteckigen geschlossenen Körper. Die Flächen sind in handwerklicher Perfektion mit Resopal beschichtet, das das weiße Tuch und die Maserung des Holzes imitiert. Der ‚Raum’ unter Tisch ist mit einer schwarzer Schicht ‚verfüllt’. Es ist ein Objekt, das dreidmensionale Bild eines Tisches beschreibt, welches den Betrachter provoziert, seine Umgebung nicht nur funktional wahrzunehmen, sondern dem Objekt visuell und körperlich im ‚realen Raum’ zu begegnen. 

Artschwagers Spiel mit gegenständlichen Allusionen seiner ‚nutzlosen’ Objekte wird in Untitled von 1965 auch im Medium der Zeichnung sinnfällig aufgegriffen. Das darin sehr plastisch dargestellte Objekt ist nicht klar definiert, obschon es die Anmutung einer Lautsprecherbox erweckt. Andererseits ruft es auch Assoziationen zu den Rahmenkonstruktionen auf, die Artschwager häufig individuell für seine Gemälde entwirft. 

Gefundene Fotografien aus Tageszeitungen bildeten in Artschwagers gesamten Werkverlauf seine bevorzugten Bild-Vorlagen. Durch die Verwendung von Celotex-Platten als Malgrund, mit unterschiedlichen Oberflächenstrukturen und durch die differenzierte Pinselführung, die jedem Bild eine grafische Textur verleiht, sowie die farbliche Konzentration auf Schwarz-Weiß überdehnt Artschwager den den analogen Prozess des visuellen Erfassens des Bildes. Nicht zuletzt aufgrund dieser Wahl der formalen Mittel und ihres sehr präzisen Einsatzes manifestiert sich die Gleichrangigkeit der Bildmedien in Artschwagers Werk. Die starke haptische Struktur der Bildträger prägt Gemälde und Zeichnungen in gleichem Maße. Darüber hinaus bilden solche Strukturen auch einen wiederkehrenden Darstellungsgegenstand, wie in den Gemälden Weaving #14 (1973) und Untitled (1969) Der geflochtene Strang und die gewobenen Fäden vermitteln keine Verweise auf ihre Stofflichkeit. Allein die repetetiven Muster der Herstellungsprozesse zeugen von den mannigfaltigen gebilden, zu denen sie verknüpfbar sind. Die Zeichnung Untitled (Weave) (1977) schafft einerseits einen noch gesteigerten Abstraktionsgrad, als sie sich nicht an die die Vorgaben des Blattformats hält, sondern die Struktur sich frei fließend entwickeln lässt. Andererseits vermittelt sie ein gegenständliches Moment, insofern als es Gewebe erscheint, dass wie ein Schleier die sechs Objekte Tür, Fenster, Tisch, Korb, Spiegel und Teppich zart verhüllt. Auf die grundsätzliche konzeptionelle  Bedeutung dieser Objekte wird an anderer Stelle noch ausführlicher eingegangen.

Artschwagers zeichnerische Handschrift benutzt in meisterlicher Weise die unterschiedlichen Möglichkeiten der Blei-, Graphit- oder Farbstifte zur Lenkung der den kräftigen Papieren angepassten Bewegungen, wobei er eine feingliedrige Linienführung mit der Staftspitze und den flächigen Auftrag mit der Breitseite sowohl isoliert als auch in Kombination einsetzt. 

Besonderen Raum in Artschwagers Werk nehmen Porträts und Selbstporträts ein. Sie sind ein berufener Gegenstand , die überkommenen Fragen nach dem repräsentativen Potenzial der Malerei zu hinterfragen, und gleichzeitig Fragestellungen von aktueller politischer Brisanz aufzugreifen. Dies wird deutlich an den zwei Porträts von Geo. W. Bush (2002) und Osama (Bin Laden) (2003), neben die sich Artschwager in der letzten zu seinen Lebzeiten organisierten Retrospektive von 2013 mit einem Selbstporträt (2003) platzierte. Der Künstler stellt sich hier als Zeitgenosse neben zwei sowohl diametrale als auch polarisierende Protagonisten der damaligen Ereignisse. Artschwager zeigt damit eine Spannung auf: zwischen der Sachlichkeit malerischer Repräsentation und der emotionalen Befangenheit, die er auf die Betrachter überträgt durch die Weise, mit der er diese Bilder zueinander in Beziehung setzt. 

Seine Selbstporträts zeigen ihn meist enface mit einem offenen Ausdruck auf seinem Gesicht, der sowohl seine unbefangene Neugier als auch seine Zurückhaltung in der moralischen Wertung von Wahrnehmungen und Gegebenheiten wiedergibt. Das Self-Portait (2005) in Kohle offenbart die Manier von Artschwagers charakteristischer Verschmelzung von lockerer Strichführung und flächiger Schattierungen, die die materiellen Eigenschaften der formalen Mittel zu einem beiläufig innerlichen Ausdruck verdichtet.

Artschwagers Bildwelten thematisieren die Ordnung der Dinge im Raum, wobei sie erzählerische Festschreibungen tunlichst vermeiden. Sein Blick ist auf das Verhältnis von Außen- zu Innenraum nimmt die distanzierte Perspektive eines Unbeteiligten ein. Die ins Bild gesetzten Objekte sind zweckfrei und abstrakt zueinander in Beziehung gesetzt. Selbstverständlich betreibt Artschwager die formalen Prozesse der Bildfindung im Bewusstsein der inhaltlichen Eigenheit der Dinge. Er reduziert jedoch deren Gegenständlichkeit auf eine einfachste Form, weil er auf die Wirkung auf den Berachter keinen Einfluss nehmen will. Er zielt damit auf eine universale Lesbarkeit der archetypischen Dinge, die eine Gegebenheit definieren. Artschwager widmete sich nachdrücklich mit der Idee einer solchen Raumvorstellung in einer Serie einfacher Strichzeichnungen, die sechs Gegenstände in einer Vielzahl unterschiedlichster Konstellationen zusammenstellen. In einem Skizzenbuch fand er die Zeichnung, in der eine Tür, ein Fenster, ein Tisch, ein Korb, ein Spiegel ein Teppich einen Raum konstruieren. Sie bildeten sozusagen Artschwagers Alphabet, in dem er nicht nur in Zeichnungen, sondern auch Gemälden und Skulpturen formulierte. Mit beinahe 100 Werken besetzt dieses Themenfeld einen breiten Raum in Artschwagers Gesamtwerk: 

„Ich ‚spielte’ mit den sechs Gegenständen, wie ich auf dem Klavier spiele – man könnte sagen, dass es eine Übung in der Art einer Fuge war.“

In einigen Zeichnungen sind die Gegenstände wie in einem gewöhnlichen Zimmer platziert. In anderen zeigt sich Artschwager experimenteller Übermut, wenn er die Elemente in eine bizarre (Un)Ordnung bringt oder aus eigenartigen Blickwinkeln betrachtet (vgl. o. Untitled (Weave) (1977)). In einzelnen dieser Studien sind Teppich, Tür, Fenster,Tisch, Spiegel, Korb (1975) von unten nach oben zu einem sich verjüngenden Turm ineinander gesteckt. In Bleistift und Tusche sind die Gegenstände in parallelen senkrechten Lagen kleiner und kleinster Striche skizziert, die ein schemenhaftes Bild zeichnen. Artschwager macht den durch die Objekte definierten Raum selbst wieder zum Objekt. Die Reduzierung der Räume auf die Ordnung, mit der die Gegenstände platziert sind, lassen die Räume unbewohnt, verlassen wie unwirkliche Kulissen erscheinen. Ihre unablässige Eintönigkeit beherbergt nüchterne Gedanken über das Trauma von Langeweile und düstere Todesahnungen. Erst in Artschwagers letzten Jahren, in denen er sich kunsthistorische Vorlagen des 19. Jahrhunderts benutzte, bevölkern sich die Innenräume. In diesen Genreszenen überträgt sich dann die Entfremdung der Schauplätze des alltäglichen Lebens auf die dort hausenden Personen, die miteinander konfrontiert werden. 

Artschwagers bildnerische Gestaltungsprozesse formulieren eine Sprache mit einem Alphabeth aus gleichgewichteten semantischen und syntaktischen Zeichen. Darin erscheinen Bilder naturgemäß als elemantare Elemente der Bedeutungsvermittlung (Semantik). Daneben sind es nicht Buchstaben und Worte als vielmehr Satzzeichen, die als sinngebende Verknüpfungselemente des Satzbaus (der Syntax) dienen, denen Artschwagres vorrangiges Interesse galt. Sie sind ihm aber auch wichtige Bedeutungsträger: Sie können Probleme und Ungewissheiten anzeigen, und zum anderen eine ironisch distanzierende Verwandlung oder eine Aufhebung einer  Bedeutung darstellen. Sie sind somit wesentliche syntaktische Hilfsmittel, die zur Ordnung der Dinge entscheidend beitragen. 

An dieser Stelle mag ein formal schlichtes Gemälde angesprochen werden, dessen anschauliche Merkmale in einem ambivalenten Verhältnis zu seinem Titel stehen. Upper Right Hand Pinch (1972) zeichnet sich zunächst durch eine makellos herausgearbeitete Struktur seiner Bildfläche aus. Allein in der rechten oberen Bildecke sind zwei gebogene Lineamente gesetzt, die rein anschaulich gegeneinander gestellte Textklammern bezeichnen. Artschwager weist sie jedoch als Falten einer Hand aus, deren Linien aus ihrem gegenstänlichen Zusammenhang isoliert sind und von daher eine zeichenhafte Abstraktion vorgeben. Eine ähnliche formal-bildhafte Ambivalenz betrifft auch Trapezoid (2006), dessen eindeutig geometrische Form durch eine räumliche Sehweise der sich verjüngenden Zeichnung gegenständliche Assoziationen (wie der Teppich auf einem Boden) auszulösen vermag. 

Diese Auseinandersetzung mit der Funktion der Satzzeichen war ein wichtiger Schritt für Artschwager bis zur Gestaltung eines eigenen syntaktischen Zeichens. In den Jahren 1967/68 entwarf Artschwager das Konzept des Blp. Dabei handelt es sich um eine längliche Form, die Artschwager aus zwei gerade verbundenen Halbkreisen konstruiert hat. Er erinnerte sich: 

„Ich versuchte herauszufinden, wie ich mit möglichst wenigen Pinselstrichen oder Linien etwas machen kann, das als eine Katze zu erkennen ist. Ich glaube, ich kam auf sieben oder acht, und als ich diese schwarzen Zeichen machte... verlief der schwarze Punkt irgendwie, und wurde zu einen eigenen Ding, nicht rund, sondern länglich. Es wurde zu einem Blp, und da war es.“

Er entwickelte sie als Konzept in einer Zeit, als auch andere Künstler mit unterschiedlichen Ansätzen untersuchten, wie Kunst aus dem tradierten Museumsraum heraus in andere Umfelder getragen werden kann, etwa in öffentliche Räume oder Publikationen. Die Blps waren Artschwagers Beitrag zu diesen neuen Wegen der künstlerischen Ideen und Eingriffe. Wie Graffiti-Tags machte die Anbringung der Blps innerhalb und außerhalb von Gebäuden, im urbanen und natürlichen Umfeld diese kunstfernen Orte zum Gegenstand ästhetischer Betrachtung. Mit ihrer Anbringung forderte Artschwager, wie er sich selbst ausdrückte, den Betrachter auf, selbst herauszufinden, „was das Ornament und was das ornamentale Gebilde ist“.

In Artschwagers letzter Werkphase verstärkte sich noch einmal seine Auseinandersetzung mit Farbe, die bereits zu Beginn der 2000er-Jahre eingesetzt hatte, sowohl in den Gemälden als auch in den Skulpturen. 

Er begann, sich experimentell mit Farbe auseinander zu setzen, indem er Acrylfarben oftmals mit Einschlüssen aus Resopal anreicherte. Er steigerte die Intensität und Brillanz die Farbpalette seiner Gemälde und Zeichnungen zu einer nahezu expressiven Wirkung. Die späten Werke lösen mit ihren filzigen Oberflächen, ihrem unbeholfen wirkenden Duktus, dem übertriebenen Maßstab und den nicht harmonisch abgestimmten Farben oftmals Unbehagen und ein Gefühl der Fremdheit aus. Artschwager nahm gleichzeitig Themen und Formen früher Werke wieder auf — in Resopal-beschichteten Möbelskulpturen, Ausrufezeichen in Leuchtfarben oder Landschaftsbildern, die auf die Gemälde der 1960er-Jahre verweisen. Artschwager streift darin durch Kulturlandschaften, die sich von Erinnerungen an Vergangenes und Vorstellungen über Zukünftiges speisen. Gegenstände früherer Werke erfahren eine geisterhafte Wiederauferstehung, Figuren schweben frei im Raum, Straßen lassen unseren Blick bis zum Horizont schweifen, um dahinter zu verschwinden. Artschwager hat das von ihm Erreichte zeitlebens hinterfragt, und nie nachgelassen, über die sich daraus ergebenden Veränderungen nachzudenken. 

“The first thing I needed was the definition of art. And I came on that right away: Art is useless-looking, its activity or production to no purpose, certainly not to make a living. I would wake up at night and think, What the hell have I gotten myself into? You don’t want to do that! But you gotta do something, and with art, there’s freedom—which is actually very seldom practiced by artists. We’ve got this and this and this,” sagt er auf die fünf Sinne deutend, “and that’s it! And it’s enough just to use them. Or to play with them.”

Damit ermutigt und überzeugt seine Kunst den aktiven und mündigen Betrachter, der eigenen bewussten Erfahrung der Gegenwart stets ihre unumstößliche Gewissheit abzuringen.

(Ulrich Wilmes)