s/w

Vernissage ist am 19.1.2017
Ausstellung s/w
Besuch nach Vereinbarung
Januar 2017 - April 2017

SCHWARZ-WEISSE BLÜTEN

Bei der Konzentration auf den strengen Geist der Konzeptkunst, die den besonderen Rang der Sammlung Michalke ausmacht, bedeuten einzelne monochrome Zeichnungen und druckgraphische Arbeiten, die dem Sammler immer wieder gleichsam als Solitäre ins Netz gingen, eine unerwartete Bereicherung. Die 1967 und 1969 veröffentlichten Statements  zur Konzeptkunst, die von Sol Lewitt, einem ihrer wesentlichen Protagonisten stammen, mögen in ihrer Ambivalenz als Stimmgabel für das nähere Verständnis der hier versammelten Blätter dienen. Da wurde zum einen die rationale Logik zum unumstößlichen Diktum erhoben, zum anderen das Mystische in unmittelbare Nähe zum Konzeptuellen gebracht und das Irrationale eng mit der logischen Strenge verknüpft.
Die vorliegenden Werke auf Papier sind zum Teil Neuzugänge, die sowohl einzeln wie in assoziativer Zusammenfügung mit bereits Vorhandenem dem neuen Ausstellungsbereich im  „Metropol Kunstraum“ und dessen kabinettartigem Charakter gut anstehen. Zuweilen scheint sich der Sammler im Gespräch für seine „Fremdgänge“, seine unkanonischen Nebenwege und Abweichungen geradewegs „entschuldigen“ zu wollen, obgleich er gerade damit die „sprunghaften Lösungen“ im Sinne Lewitts kongenial erfüllt.

Kaum ein zweites Medium seit der Renaissance vereint in sich gleichzeitig den Moment des Denkens mit dem des unmittelbar spontanen, sinnlichen Zugriffs wie die Zeichnung. Sie bietet die perfekte Fusion von Geist und Gefühl. So kann Lewitt’s hauchfeines Blatt aus dem Jahr 1969 mit den sechs quadratischen Variationen lichter, abstrakter Linienüberlagerungen in ihrer abweichenden  Systemhaftigkeit geradezu als Musterbeispiel seiner Kunst gelten. Unmittelbar daneben gestellt, erweckt der 2013 entstandene Laserdruck auf schwarzem Papier von Pae White den Eindruck, als sei eines der zarten Quadrate der Zeichnung von Lewitt in eine prismatische Struktur aufgebrochen. Statt der transparenten, wie von innen schimmernden Fläche, die eine meditative Ruhe beschwört, erscheint in der Graphik ein von außen beleuchtetes Relief zwischen Fläche und Raum, dessen Schärfe und Dynamik auf eine durchaus skulpturale Evokation zielt.

Betrachtet man den 1962 datierten Holzschnitt von Donald Judd in unmittelbarer Nachbarschaft der Tuschezeichnung von Bill Copley (1971), so sind es neben Äußerlichkeiten versteckte Bezüge, die unser ästhetisches Vergnügen wecken und ein leises Schmunzeln hervorrufen. Copley’s mit kräftigen schwarzen Konturen auf weißes Papier gesetztes Bügeleisen wird in jedem Detail liebevoll in Szene gesetzt und in seiner barock-ornamentalen Ausbreitung gewissermaßen altmodisch ironisiert. Diametral entgegengesetzt erscheint Judd’s nüchterne Darstellung einer Büroklammer als streng minimalistisches Signet in Form eines Weisslinien-Holzschnitts mit schwarzer Ölfarbe. In der Konfrontation beider Blätter, die alltägliche Gebrauchsgegenstände feiern, fasziniert aber die gleiche Wertigkeit der Linien und das jeweils ambivalente Verhältnis von Positiv und Leere als Grundthema der Bildenden Kunst seit der attischen Vasenmalerei.

Mit dicken, schwarzen Tuschebalken setzte Brice Marden 1974 auf dem weißen Papiergrund seine robuste, aber transparente Rahmen- und Grid- Struktur, wie sie ähnlich schon die kurz vorausgehenden „Suicide Notes“ bzw. die gleichzeitigen „Shape Book“-Zeichnungen offenbarten. Das Entstehungsjahr hat als besonders wichtig innerhalb der Entfaltung des Werks von Marden zu gelten, nahm doch ebenfalls 1974 mit dem Work Book „Greece Summer“ die große Reihe seiner Reise-Bücher ihren Anfang, in denen sich die Zeichenkunst dieses Künstlers in die obersten Ränge erhob. Die von der Landschaft Griechenlands oder auch organischen Strukturen inspirierten Zeichnungen zeigen in ihrem neuartigen Linienduktus einen Abstraktionsgrad, der spätere Entwicklungen Mardens weit vorweg nimmt.   
Daneben steht der gänzlich anders geartete, radikale Purismus eines Dan Flavin, wie er beispielsweise in „from August 5, 1964“ von 1966 zur Perfektion getrieben wurde. Den schwarzen Bildgrund durchtrennt im Zentrum eine feine, aber messerscharfe, wie fluoreszierende Buntstiftlinie, der sich – vom unteren Rand aufsteigend – ein kurzes Linienstück parallel dazu gesellt. Das Blatt ist kein Entwurf, sondern gehört in der Makellosigkeit seiner Ausführung zu einer für den Verkauf bestimmten Gruppe von Zeichnungen, die auf Ideen früherer Arbeiten verweisen.

Im Kontext des für die Entwicklung der Konzeptkunst so wesentlichen Themas „Licht“ schließt hier James Turrell sinnvoll an, von dem sich in der Sammlung die Lichtprojektion „Joecar (White)“ von 1967 befindet. 1989 schuf der Künstler als Paraphrase dieser Arbeit eine großformatige Aquatintaradierung, die das gleißend helle, zentrale Lichtsegment samt der von ihm bewirkten differenzierten Illuminierung der benachbarten Wandteile in die monochrome Farbskala der Aquatintatechnik zwischen Schneeweiß, Pechschwarz und malerisch-samtenen Grauabstufungen übersetzt.
Fred Sandbacks Umkehrlithographien als Weißliniendrucke vor schwarzem Grund zielen statt auf die Valeurs der Fläche auf die der Linie. Blanke geometrische Formen erscheinen durch den grellen Schwarz-Weiß-Kontrast in ihrer ästhetischen Wirkung geradezu wie vom Licht „gezeichnet“

Wie anders ist die Welt, die in Barry Le Va’s „4 rivers (Interior)“ von 1968 anklingt, diesem malerisch gehaltenen Blatt mit den vier schwarzen, in ihrer Ausdehnung fluktuierenden Tuschebahnen vor unmerklich heller gespritztem Grund. Le Va’s permanenten Austausch zwischen dem Regelhaft-Konzeptuellen und der unberechenbaren organischen Abweichung unterstreicht nicht zuletzt das Millimeterpapier als Bildträger, das den Anschein erweckt, als ob Wasser schematisiert werden könnte.
In diesen Kontext fügt sich Al Taylors Blatt in Bleistift und Gouache „Pet Stain Removal Device“ kongenial ein, auch wenn den anderen Künstlern die Abstrusität der Taylor’schen Erfindung von Vorrichtungen zum Entfernen von hündischen Pissflecken kaum zuzutrauen wäre. Es verbindet den diagrammatisch- konstruktiven Geist der Zeichnung Mardens mit dem des Organischen bei Le Va. Dabei ist im Falle Taylor’s die unnachahmliche Mischung aus Ernst und Leichtigkeit, von Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn im Verständnis von Robert Musil und Marcel Duchamp entscheidend.

In der 1968 entstandenen Ölkreidezeichnung auf Papier von Bill Bollinger bricht die einfache Horizontlinie plötzlich in einem Bündel vehementer Strichlagen ab, die ungeordnet nach unten stürzen. Weitere Blätter aus dem gleichen Entstehungsjahr thematisieren in ähnlicher Weise den nüchtern gesetzten Horizont und dazu in Schwingung gesetzte Abweichungen. Bollingers damalige Reise per Frachtschiff nach Europa, die den Künstler den Atlantischen Ozean als leicht gewölbte, scheinbar plane Fläche erleben ließ, ist für diese Arbeiten eine Quelle der Inspiration gewesen. Sechs Jahre später hatten für Brice Marden in dessen Zeichnungen im „Greece Summer“- Work Book das unmittelbare Naturerlebnis, der Horizont des Meeres, die gekräuselte Fläche des Wassers und die Silhouetten der  Landschaft eine vergleichbare Bedeutung auf dessen spezifischem Weg in die Abstraktion.

Ebenfalls 1968 datiert ist das Blatt von Philip Guston, das dem Komplex seiner „pure drawings“ zugehört, jener radikalsten Phase innerhalb seines Schaffens, die sich der Künstler wie eine Zen-Übung in geradezu existentieller Weise selbst auferlegt hat. Die Flut der 1967/68 entstandenen Zeichnungen – in ihrer Reduktion beinahe minimalistisch, aber doch leise vom Duktus der Hand getragen – entstand gleichsam als ein Akt der Purifizierung, bevor in Gustons Bildwelt der konkrete Gegenstand wieder Einzug halten konnte. In der Zeichnung scheinen vier längliche, unterschiedlich proportionierte Formen vom oberen Blattrand über die Papierfläche nach unten zu „hängen“. Ihre Körperlichkeit und Schwerkraft – von gleicher Präsenz wie Gustons Darstellungen von Gegenständen wie Büchern oder Schuhen – spiegeln jenen emotionalen, organischen Impetus, der trotz der Ökonomie der Mittel jedem konzeptuellen Schema entgegensteht. Gerade deshalb hat diese Arbeit von Guston innerhalb der Sammlung Michalke als ein so zwingender Solitär zu gelten.
Der Rang eines solchen gebührt auch dem 2001 entstandenen Blatt der 1970 in Äthiopien geborenen Julie Mehretu. Die mit Tusche auf Mylar erreichte Differenzierung des Strichgefüges – schwebend wie eine Wolke und von fast rokokohafter Anmut – bewirkt einen filigranen Miniaturorganismus von beinahe ätherischer Transparenz, in dem sich unterschiedliche zeichnerische Schichten, Vordergrund und Tiefe subtil überlagern.
Reizvoll ist die Konfrontation  mit der ebenfalls 2001 geschaffenen Acrylarbeit „Fear Not“ des Mexikaners Gabriel Orozco. Das zarte weiße Geflecht hat sich auf dem schwarzen Grund wie Schimmel eingenistet und erinnert an eine rätselhafte Kopfform. Dabei erreicht der Künstler durch die Indirektheit der Faktur fast die Wirkung eines Abklatsches.
Eine solche Indirektheit strebte auch Michael Venezia vor allem in einer Reihe seiner frühen Arbeiten an. Zu Ende der Sechzigerjahre fand der Künstler über die Sprühpistole einen Weg, sich von der gestischen Handschrift des Abstrakten Expressionismus loszusagen. Seit Beginn seiner Karriere um 1965 hat sich Venezia trotz seiner engen Berührung mit der Konzeptkunst als genuiner Maler verstanden. Auch in seinen Arbeiten auf Papier wie in der hier vorgestellten von 1972 bediente er sich - bei Ausschaltung von Hand und Malpinsel - der Methode des Farbauftrags durch Sprühen. Es verleiht den zwölf in Reihen übereinander gesetzten schwarzen Rundformen in ihrer - durch das Verfließen von Farbsubstanz ausgelösten - unterschiedlichen Schattierung eine Aura des Schwankens. Im präzisen Hervortreten und milchig-zarten Verschwimmen der Formen vor der Tiefe des Papierraums mögen hier durchaus jene Dimensionen von Zeit und Entfernung mitschwingen, denen wir etwa beim Blick in den Sternenhimmel einer Sommernacht nachsinnen.

Dem opaken, gedrängt auf die Papierfläche gesetzten Oval – Email auf Papier, gespritzt -, das Gary Kuehn 1971 im Kontext der 1969 begonnenen Serie seiner „Black Paintings“ schuf, stehen die offenen „Baumformen“ Gordon Matta-Clarks aus dem gleichen Jahr zunächst diametral gegenüber. Gemeinsam ist beiden Arbeiten aber der hohe Grad an Energie, der von ihnen ausstrahlt. Bei Kuehn ist es die beinahe Rahmen sprengende, körperliche Kraft einer Form, die sich aus ihren räumlichen Fesseln befreien möchte. Für Matta-Clark zählt der stärker geistige Prozess, das Phänomen des Raums und seiner Energie – basierend auf Ideen des Organischen -zu begreifen. Beide Arbeiten eint zudem eine ausgeprägt metaphorische Ebene, wobei es auf der einen Seite um die potentielle Formveränderung durch vorgegebene Zwänge des Bildformats geht, auf der anderen darum, Transformation und Metamorphose auf einem Blatt Papier prozessual entstehen zu lassen.
 
Diese kleine Blütenlese aus der Sammlung endet vielleicht nicht zufällig mit dem allzu jung verstorbenen Matta-Clark, dem sich Markus Michalke mit all seiner Passion gewidmet hat. Gerade die Baumzeichnungen dieses Künstlers verbinden Natur und Konstruktion,  Mimetik und Diagramm, Sinnlichkeit und Reflexion: allesamt Dimensionen, die das eigene Tun des Sammlers seit Jahren in prägender Weise beflügeln.

Michael Semff